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Adipositas-Diagnostik

By Matthias Blüher
Helmholtz Institute for Metabolic, Obesity and Vascular Research (HI-MAG) of the Helmholtz Zentrum München at the University of Leipzig and
University Hospital Leipzig, Leipzig, Germany and
Obesity Center at Medical Department III – Endocrinology, Nephrology, Rheumatology,
University of Leipzig, Leipzig, Germany

Zusammenfassung der Offenlegung der Autoren
MB erhielt Honorare als Berater und Sprecher von Amgen, AstraZeneca, Bayer, Boehringer-Ingelheim, Lilly, Novo Nordisk, Novartis und Sanofi.

Adresse für Korrespondenz:
Universität Leipzig
Medizinische Klinik III – Endokrinologie, Nephrologie, Rheumatologie
Liebigstr. 20
D-04103 Leipzig

 

 

 

Adipositas-Diagnose

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird Adipositas definiert als „abnorme oder übermäßige Fettansammlung, die ein Risiko für die Gesundheit darstellt“.1 Im Gegensatz zu der Ansicht, dass Adipositas nur ein Risikofaktor für Krankheiten darstellt, haben die World Obesity Federation und mehrere andere Organisationen Adipositas selbst zu einer chronisch-rezidivierenden, progressiven Krankheit erklärt.2

In den aktuellen Leitlinien basiert die Diagnose von Adipositas und Behandlungsentscheidungen auf einem Body-Mass-Index (BMI) ≥ 30 kg/m2, obwohl es nicht möglich ist, mit dem BMI das kardiometabolische Risiko genau vorherzusagen oder die gesamte und zentrale Bauchfettmasse zu definieren.3 Bei jedem beliebigen BMI ist die Variation bei den Komorbiditäten und gesundheitlichen Risikofaktoren bemerkenswert hoch.3

Die Ursachen der Adipositas sind komplex

Adipositas kann als Folge der Wechselwirkung verschiedener krankheitserregender Faktoren betrachtet werden. Zu diesen adiposogenen Faktoren gehören biologische (z.B. Alter, Geschlecht, Genetik), gesellschaftliche (z. B. Arbeitsplatz, Verkehrsmittel), verhaltensmodifizierende (z. B. Familie, Esskultur, Freunde) und umweltbedingte Faktoren (z. B. Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von energiereichen Nahrungsmitteln, geringe Anforderungen an körperliche Aktivität).4 Viele dieser adiposogenen Faktoren können nicht aktiv verändert werden, was die Tatsache unterstützt, dass Adipositas eine Krankheit und keine Entscheidung ist. Zusammen können sie eine Gewichtszunahme fördern und einen höheren BMI auch bei gezielten Gewichtsreduktionsversuchen aufrechterhalten. Adipositas als Krankheit zu definieren, hat einen starken Einfluss sowohl auf den Einzelnen in Bezug auf die Verbesserung des Selbstwertgefühls und den Abbau von Stigmatisierungen als auch auf die breitere Gesellschaft in Bezug auf die Sensibilisierung sowohl von medizinischen Fachkräften als auch von Politikern.

Abbildung 1

Abbildung 1

Adipositas diagnostizieren

Das medizinische Fachpersonal befragt Menschen mit Adipositas zunächst nach den Ursachen und Lebensstilfaktoren (Abbildung 1), die zur Entwicklung eines ungesunden Körpergewichts geführt haben könnten, und es wird dann eine körperliche Untersuchung durchgeführt, einschließlich Messungen und Bluttests.

Beurteilung der Familien- und Patientenanamnese. Da das Risiko für Adipositas erblich bedingt ist, werden Menschen mit Adipositas nach dem Körpergewicht von Eltern, Geschwistern und anderen Angehörigen befragt. Darüber hinaus werden der Verlauf des Körpergewichts, Versuche und Erfolge bei der Gewichtsreduktion, körperliche Aktivität und Bewegungsgewohnheiten, Essgewohnheiten, Sättigungsgefühl und Appetitkontrolle, Medikamente, Stresslevel, Schlaf- und Arbeitsverhalten erfragt.

Körperliche Untersuchung. Zusätzlich zu den Messungen des Körpergewichts werden Körpergröße, Taillen- und Hüftumfang, Herzfrequenz, Blutdruck und Körpertemperatur kontrolliert sowie Herz, Lunge, Bauch und Gelenke untersucht. Mit den Daten zu Gewicht und Körpergröße kann der BMI berechnet werden, um die Adipositas-Diagnose formell zu stellen und die Behandlung zu stratifizieren.

Der BMI sollte mindestens einmal pro Jahr überprüft werden, um die allgemeinen Gesundheitsrisiken zu bestimmen, Behandlungsziele festzulegen und Strategien zur Gewichtsreduktion zu ermitteln.

Die zentrale Fettverteilung, die mit einem erhöhten Risiko für kardiometabolische Erkrankungen einhergeht, kann anhand des Taillenumfangs abgeschätzt werden. Bei Frauen erhöht ein Taillenumfang von mehr als 88 cm und bei Männern von mehr als 102 cm dieses Risiko. Basierend auf dieser körperlichen Untersuchung können weitere Tests, wie Ultraschall oder ein Elektrokardiogramm, empfohlen werden.

Körperzusammensetzung. Ein hoher BMI kann irreführend sein, wenn Menschen eine große Muskelmasse haben. Daher wird die Körperzusammensetzung – Fett-, Muskel- und Wasserkomponenten – durch Bioimpedanzanalysen oder DXA-Messungen (Dual-Röntgen-Absorptiometrie) ermittelt. Diese Analysen können wertvolle Anhaltspunkte für die Art der Gewichtsabnahme liefern, da es ein wichtigeres Behandlungsziel ist, die Fettmasse als die Gesamtkörpermasse zu reduzieren.

Bluttests. Blutuntersuchungen sollten beim ersten Besuchstermin durchgeführt werden, um auf endokrine Störungen zu prüfen, die Adipositas verursachen können, einschließlich Hypothyreose und Hyperkortisolismus.  Darüber hinaus sind Bluttests erforderlich, um andere adipositasbedingte Erkrankungen oder Risikofaktoren zu diagnostizieren. Daher sollten Parameter des Lipid- und Glukosestoffwechsels, chronische Entzündungszustände sowie Nieren- und Leberfunktionstests durchgeführt werden.

Definition der Schwere der Adipositas

Bei manchen Menschen verursacht Adipositas keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen, während sie bei anderen metabolische Probleme (z. B. Typ 2 Diabetes, Dyslipidämie, Fettlebererkrankung), kardiovaskuläre Erkrankungen (z. B. Hypertonie, Myokardinfarkt, Schlaganfall), Arthrose, Rückenschmerzen, Asthma, Depression, kognitive Beeinträchtigung und sogar einige Krebserkrankungen (z. B. Brust-, Eierstock-, Prostata-, Leber-, Nieren- und Darmkrebs) verursachen kann.4

Der BMI und der Taillenumfang spiegeln nicht immer die mit Adipositas einhergehenden negativen Gesundheitsergebnisse wider. Das Edmonton Adipositas-Staging-System (EOSS) wurde als fünfstufiges System zur Adipositas-Klassifikation entwickelt, das metabolische, körperliche und psychische Beeinträchtigungen berücksichtigt (Abbildung 2). Dieses System soll die Notwendigkeit einer individuelleren Definition von Adipositas gerecht werden und Behandlungsentscheidungen verbessern.5

Abbildung 2

Abbildung 1

Zusammenfassung

Eine sorgfältige Adipositas-Diagnostik ist die wichtigste Voraussetzung, um festzustellen, ob und wie viel Gewicht eine Person mit Adipositas abnehmen sollte und welche gesundheitlichen Bedingungen oder Risiken bereits vorhanden sind. Die Adipositas-Diagnostik sollte die individuell vorherrschenden Ursachen der Adipositas identifizieren und die Behandlungsentscheidungen leiten.

Literaturhinweise

1.     World Health Organization. Obesity and overweight factsheet no. 311. Verfügbar unter: http://www.who.int/mediacentre/factsheets/fs311/en/. Letzter Zugriff: März 2021.

2.     Bray G, Kim K, Wilding J, et al. Obesity: a chronic relapsing progressive disease process. A position statement of the World Obesity Federation. Obes Rev. 2017; 18:715–723.

3.     Neeland IJ, Ross R, Després J-P, et al. Visceral and ectopic fat, atherosclerosis, and cardiometabolic disease: a position statement. The Lancet Diabetes & Endocrinology. 2019; 7:715-725.

4.     Blüher M. Obesity: global epidemiology and pathogenesis. Nat Rev Endocrinol. 2019;15 (5): 288-298.

5.     Sharma AM und Kushner RF. A proposed clinical staging system for obesity. Int J Obes (Lond). 2009; 33:289-295.

DE22SX00044, Genehmigungsdatum: März 2022

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